INVESTMENT IN UNRUHIGEN ZEITEN

1.0       Einleitung

Wir stehen vor einem tiefgreifenden Strukturwandel der unser ganzes Lebensumfeld, angefangen von der Industrie 4.0 nach 5.0, über KI und Digitalisierung bis zum Climate Change, zu verändern beginnt. Es ist der Beginn einer Zeitenwende und macht ebenso vor unserem städtischen Zusammenleben keinen Halt. 

Große Konzerne sind komplex, sie brauchen zweifelsfrei ein professionelles Management. Große Agglomerationen dagegen sind jedoch um ein Vielfaches komplexer. In ihnen vereinen sich nicht nur die Wünsche und die Träume vieler Menschen, sie sind auch ein Ort für vielfältiges nationales und internationales Investment. Sie vereinen Tradition und Geschichte. Sie bieten die Chance am Wohlstand teilzunehmen. Sie versprechen eine attraktive Vielfältigkeit. Aber sie beherbergen auch so manche gestrauchelte Seele. 

Kurzum, wer als Verantwortlicher in dieses komplexe städtische Gefüge von Vernetzungen und von Abhängigkeiten eingreift, braucht ein hohes Maß an Sensibilität, Weitsicht und Sachverstand.

2.0       Berlin – eine andere Hauptstadt entsteht

Berlins Historie ist schon bemerkenswert. Leider auch in jeder Hinsicht. Von der Weimarer Zeit zum Nationalsozialismus, zur Teilung, bis hin zu einer wieder aufstrebenden Hauptstadt, in der Mitte Europas. Hauptstadt des wirtschaftlich stärksten europäischen Landes. Und doch im Reigen der europäischen Hauptstädte von London über Paris ist sie die kleinste Agglomeration mit gerade mal 3,8 Millionen Einwohnern. Erst seit 30 Jahren befindet sie sich wieder im Zentrum europäischer Politik und im Fokus internationaler Investoren. Eine Stadt, die bis heute noch zwei Identitäten vereinen muss. Eine Stadt so möchte man meinen von der Bundespolitik mittlerweile wohl beachtet, aber nicht unbedingt beliebt.

Ich kann mich noch gut an die wohlgemeinten Äußerungen unserer Berliner Gäste erinnern, die uns sagten: „Wir sind gerne zu Besuch, aber wir freuen uns auch immer wieder, wenn wir dann nach Hause kommen.“ Mittlerweile ist es für viele eine attraktive, lebenswerte Stadt geworden, aber ob man sie als liebenswert empfinden mag, darf schon bezweifelt werden. Aber gerade auch darin liegt die Besonderheit dieser Stadt. Sie ist unbequem, störrisch, unkonventionell und zu weilen chaotisch. Auf der Suche nach sich selbst verlangt sie von ihren Bewohnern und ihren Besuchern wahrlich viel.

Seit ungefähr 15 Jahren beginnt sich das Stadtbild deutlich zu verändern. Berlin wächst in die typischen Probleme heutiger Großstädte hinein. London oder Paris haben diesen Strukturwandel schon vor über 30 Jahren begonnen. Ob diese Städte allerdings als positive Vorbilder dienen ist prüfenswert. 

3.0       Die Avantgarde als willfähriger Antriebsmotor

Wie in allen Großstädten wird städtische Veränderung vielfach durch eine „Avantgardeszene“ angestoßen. Heruntergekommene Stadtteile werden zunächst von Künstlern und Startups entdeckt. Leerstehende Fabrikgebäude können zunächst noch für einen günstigen Mietzins angemietet werden. Doch diese Startup Szene und Künstler sind nur „Durchlauferhitzer“ des nachfolgenden Kapitals. Diese Entwicklung ist für dynamisch wachsende Großstädte allerdings nichts Ungewöhnliches. 

Interessanterweise haben wir bei uns im Business festgestellt, dass insbesondere ausländische Investoren sehr viel früher eine viel höhere Sensibilität für diese Entwicklungstendenzen hatten. Insbesondere israelische aber auch amerikanische Investoren hatten einen ganz anderen Weitblick für die großen Entwicklungstendenzen, als ihre lokalen Kollegen. 

Wenn heute darüber lamentiert wird man hätte doch…, dann kann man diesen lokalen Investoren nur entgegnen, Sie haben halt nicht den Mut zum Investieren gehabt, denn Mut gehört schon dazu. Nur wer den Mut hatte, konnte von dieser unglaublichen Dynamik der letzten 15 Jahre profitieren.

Der damalige Berlin Slogan „arm aber sexy“ hatte ganz gut den Nerv der Beobachter getroffen. So konnte man auch Berlin noch Ende der 90-iger Jahre belächeln und musste sie nicht als ernstzunehmenden Konkurrenten für Frankfurt, München oder Hamburg wahrnehmen. Insbesondere bei einem Schuldenberg von 63 Milliarden war Berlin zur Nachwendezeit derart bankrott, dass es eigentlich keine Bürgschaften hätte hinterlegen können.

Ausländische Investoren haben dieses jedoch in keiner Weise so wahrgenommen. Sie sahen immer nur Deutschland als die Stärkste wirtschaftliche Kraft in Europa und eine bald dazugehörige ebenso starke Hauptstadt, die sich nur entwickeln musste. Daher hatte diese Stadt, wie auch keine andere, einen unvorstellbaren Ansturm internationalen Kapitals zu verzeichnen gehabt. 

Doch dieses massive u.a. Kiezinvestment in unzählige Sanierungen und neue Gebäude hatte auch seine Folgen. Denn es kamen neue Mieter, die bereit waren einen höheren Mietzins zu zahlen. Wer dies nicht mehr konnte, der musste den Kiez über kurz oder lang verlassen. Und damit wandelte sich auch das Flair im Kiez. So war diese Avantgardeszene im Kiez eben nur der Durchlauferhitzer, obwohl sie den Standort erst attraktiv machte. Damit ging eine Entleerung des einstigen Flairs in diesen Stadtteilen einher. Die neue Bewohnerschaft hatte nun das Sagen. Sie haben aber ein anderes Konsumverhalten. Andere Läden, andere Restaurants begleiten jetzt diesen Wandel. 

Wer trägt nun für diesen Wandel die Verantwortung? 

Die Stadtpolitik? 

Die Investoren? 

Stadtplanung wie auch Stadtpolitik sollten gefordert sein „Historisches“ zu erhalten. Dies bedeutet jedoch mehr, als nur historisch Bauliches zu bewahren. Denn es kommt nicht nur auf die „historische Fassade“ an, also diese unter Denkmalschutz zu stellen, sondern es kommt darauf an, ob die ursprüngliche Bewohnerschaft und die Gewerbetreibenden zukünftig noch eine Chance dort zum Verbleib haben werden. 

So manche Philosophen und auch berühmten Schriftsteller haben sich angetan das phänotypische unserer Großstädte in Worten zu kleiden. Großstädte erfahren wir jedoch durch Gebrauch und durch Wahrnehmung. Durch Bewegung im Raum und durch eine laufende Verwandlung hervorgerufen, durch die vierte Dimension, also durch den Ablauf der Zeit. So füllen sich funktionale und ästhetische Verhältnisse mit Leben. Um die Stadt als solche zu begreifen, muss man nach ihrem ordnenden Kern Ausschau halten, ihre Grenzen aufdecken, ihren gesellschaftlichen Kraftlinien folgen. 

Nun, dieser Verdrängungsprozess im Kiez ist allerdings nichts Neues. Wer London noch vor dem Finanzboom kannte, kennt diesen permanenten Wandlungsprozess aus eigener Anschauung sehr genau. Versuchen Sie mal einen echten Londoner zu finden, der dort geboren ist. Wollten wir dieses ursprüngliche Flair beibehalten, dann bräuchten wir einen ganz anderen gesellschaftlichen Konsens an Wertvorstellungen. Städte sind stets die Welt, die der Mensch sich selber mit allen Facetten baut.

Vielleicht sollten wir viel mehr von unseren Großstädten erwarten, als nur einen lebenswerten Raum, – im Sinne von Effizienz und Erfolg. Dann müssten wir allerdings entscheiden, ob wir dieses als einen Wert an sich erkennen wollen? Denn Großstädte sind zweifelsfrei nicht nur eine Anhäufung von simplen Bauten. Die Stadt ist weniger eine Anhäufung von Bauwerken, als ein Komplex von wechselseitig und ständig aufeinander wirkenden Funktionen. Sie ist nicht nur eine Zusammenfassung von Macht, sondern vor allem stets eine kulturelle Polarisation.

Geht vielleicht mit unserer heutigen Zeitenwende unsere städtische Vielfalt verloren und schaffen wir damit entseelte Orte? Auch eine architektonische Uniformität wäre die Folge. Unser tägliches Großstadtleben, getrieben durch die zunehmende Digitalisierung entfernt viele von ihrem menschlichen Mittelpunkt. Großstädte lassen nicht selten den einzelnen Bewohner bindungsloser, einsamer und hilfloser zurück, als er wahrscheinlich je zuvor gewesen ist. Nicht ohne Grund ist die Selbstmordrate in Tokio eine der Höchsten. Also, wir brauchen auch immer Freiräume ohne ökonomische Zwänge, städtische Räume für eine „Avantgarde“, um sich weiter zu entwickeln. Denn dort entstehen Kreativität und nicht zuletzt auch erfolgreiche Startups. 

Lassen Sie uns festhalten: Kurzum, wer als Verantwortlicher in dieses Geflecht komplexer Vernetzungen eingreift, braucht wie gesagt, ein hohes Maß an Sensibilität, Weitsicht und Sachverstand. 

4.0       Shopping Malls

Ein ganz anderes Thema, dass diesen städtischen Wandel deutlich erlebbar macht, als kleiner Einschub. Die einst so prachtvollen Kulturtempel zum Einkaufen gehen in den Innenstädten einem Ende entgegen. Jahrzehntelang waren diese Kulturtempel Motor eines lokal verorteten Konsums. Doch im Vergleich zu heute schaffen die größten Kaufhäuser der Welt gerade mal 10 % des online Warenangebots. So ist es ein Sterben in kleinen Schritten. 

Die Anzahl neu gebauter „Malls“ hat sich in Deutschland seit 2010 deutlich verringert. Vor 2010 wurden in den zurückliegenden 10 Jahren nahezu 350 Malls gebaut. Von 2010-2017 waren es nur noch fünfzig. Der Onlinehandel führt zu einer nicht mehr vom Ort abhängen Handlung, es findet eine regelrechte „Endortung“ des Einkaufens statt.

Für die Innenstädte kann dieses dramatische Folgen haben. Dies gilt besonders für die Mittelstädte. Mit einem schleichenden Verlust an Mietern in den Konsumtempeln wird sehr schnell das unmittelbare Umfeld in den Sog eines Abwärtstrends hingezogen. So wie diese Zentren in den prosperierenden Jahren für Frequenz sorgten und die kleinen umliegenden Läden davon profitierten, so beginnt statt ehemals einer Aufwärtsspirale heute eine Abwärtsspirale. Developer tragen nur für ihr eignes Investment Verantwortung, weniger für das Wohl der ganzen Stadt.

Doch wer könnte darüber entscheiden was richtig ist? 

Eine Stadtverwaltung, die sich anmaßen würde zu wissen, was ökonomisch ist, so wie einst die zentralistische „Konsum-Planung“ des Sozialismus? 

Also wo endet staatliche Handlungskompetenz, und wo beginnt eigentlich ihre Verantwortung für die City im Ganzen? 

Wir werden sehen, es sind noch viele weitere Aspekte, die heute zu einer dramatischen Wende führen. 

5.0       Mieten Segregation

Schauen wir uns die jüngste, mit aller Härte geführte Diskussion, insbesondere in Berlin, über zu hohen Mieten an. Es sieht so aus, dass es nicht nur eine Diskussion ist, die sich auf hohe Mieten beschränkt. Es könnte auch ein Anzeichen für eine sich breitmachende Unruhe in unserer Gesellschaft sein. Man möchte fast sagen, es ist eine Renaissance des Sozialismus,- ein „déjà vue“.

Fragen über unsere liberale Gesellschaftsordnung aber auch über die Auswirkungen unserer globalen Welt werden mit großer Leidenschaft geführt. Doch was bedeutet dies eigentlich wenn wir sagen, die Mieten sind zu hoch? Oder kann es nicht ebenso gut auch heißen, dass die Einkommen zu niedrig sind? Denn beides gehört schon zusammen, Wohnen und Arbeiten, versehen mit einem auskömmlichen Einkommen. 

Oder geht es um etwas ganz anderes? Also ist es das Aufkeimen einer gesellschaftlichen Grundsatzdebatte. Ist es der Versuch über die Hintertür einer Verstaatlichung von Eigentum Vorschub zu leisten? Also eine Verstaatlichung von Eigentum. 
So heißt es in unserem Grundsetz § 14 auch: 

(2)    Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. 

(3)    Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. 

Dient als Triebfeder schlichtweg wieder Allheilmittel Angst? Vielleicht sollten wir aber auch verstehen, dass bei vielen alten Mietern im Kiez, die diese hohen Mieten nicht mehr zahlen können schlichtweg auch Angst eine Rolle spielt. Und DIE LINKE, hatte das Gespür es aufzugreifen. Dann aber, mit dem üblichen populistischen Mitteln, vieles versprochen, wohl wissend, dass sie es nicht umsetzen können. Wie haben wir doch Eingangs gesagt, Berlin ist noch auf der Suche nach sich selbst.

Ist es vielleicht bei den Betroffenen „aus dem Osten“ noch die Suche nach staatlicher Geborgenheit? Also noch das alte Trauma der Wende. Es ist in dieser Stadt schon, obwohl 30-ig Jahre nach der Wiedervereinigung noch vorhanden. Die Erfahrung plötzlich gänzliche ohne materiellen Besitz dazustehen wurde nicht vergessen. Ist es also der Versuch der Spaltung unserer Großstadtgesellschaft? Oder wirklich nur der ehrliche Versuch das Problem zu lösen?

Jede wachsende Großstadt kennt diese Problematik einer Segregation. London, Paris, egal wo. Alte Stadtbewohner werden verdrängt und müssen den Hinzukommenden Platz machen. Keine dieser Städte konnte eine zufriedenstellende Lösung anbieten. Wien reicht da als positives Beispiel bei weitem nicht aus. Wenn Städte derart dynamisch wachsen, müssen sie mit diesen Problemen kämpfen. Es ist die Spirale der sozialen und räumlichen Entmischung. Jobs werden anspruchsvoller. Mieten werden höher. Die neuen Bewohner müssen um ein Vielfaches besser qualifiziert sein, um einen Job zu finden. Und letztlich werden die Bewohner auch immer jünger. 

Solange wir diese unsere Wirtschaftsordnung für richtig erachten und unser Ziel Wachstum bleibt, wird sich an diesem Prozess auch nichts ändern. War es also richtig, aus parteipolitischen Überlegungen heraus in dieser Weise mit dem Ziel sozial ausgleichend zu handeln, einzugreifen und eine massive Irritation wie Vertrauensverlust in Kauf zu nehmen? Das Ziel sollte es schon sein, eine soziale Durchmischung zu sichern und wo nötig wiederherzustellen. Aber wie sollte das geschehen? Was wäre ihre Meinung dazu? Sollten wir nicht abwarten, bis der Markt es wieder autonom regelt? Stehen wir nicht gerade heute bereits erneut vor dem Platzen einer Immobilienblase? 

Doch halten wir fest: Hier ging es nicht nur um zu hohe Mieten, oder anders gesagt, zu hohe Mieten im Verhältnis zum Einkommen, hier ging und geht es um viel mehr. 

Die Attraktivität einer Stadt lebt im hohen Maße von einer natürlichen Durchmischung ihrer Bewohner. Hierin spiegelt sich ein sehr feines Geflecht von Beziehungen der Menschen mit ihren Erwartungen, Vorlieben und Bedürfnissen im städtischen Raum wider. Und darin liegt auch das Geheimnis, denn ohne weitgehende administrative Lenkung kristallisieren sich optimale städtische Räume heraus. Sie sind identitätsstiftende Räume und besitzen ein sehr hohes Maß an Konvergenz. So verbinden die Bewohner dieser Städte ähnliche Bedürfnisse und Erwartungen, als sie dieses an anderen Orten der Stadt tun würden. Dadurch entsteht nicht zuletzt auch „Diversity“.

Diese städtischen Räume besitzen oft auch eine eigene Architekturkultur. Auch die unterschiedlichen monetären Verhältnisse der Bewohner spielen natürlich eine Rolle. So spiegelt der städtische Raum die Wirklichkeit der unterschiedlichen monetären Verhältnisse und die Bedürfnisse ihrer Bürger wider. Genau diese Vielfalt in einer Stadt ist jedoch die Basis ihrer Attraktivität. Wie schwer sich dagegen Städte des Sozialismus in den Nachkriegsjahren getan haben, kennen wir aus sozialistischer Stadtplanung und Architektur sehr genau. Auch die monotonen Plattenbausiedlung sind uns im Gedächtnis geblieben. Ganz zu schweigen vom schwierigen Umgang mit einer geerbten Feudalarchitektur, die es – ideologisch begründet – galt, zu ignorieren und dort wo es möglich war, sogar abzureißen.

Denn im Sozialismus sollte es keine Klassenunterschiede mehr geben, in jeder Hinsicht. Ich weiß, es wird jetzt einige geben, die mit dieser Ansicht nicht konform gehen. Auch wenn dies nur ein frommer Wunsch war, so war es doch oberste ideologische Leitlinie, an der sich nicht zuletzt sozialistische Stadtplanungskonzepte auszurichten hatten. Auch wenn meine Beschreibung einer sozialistischen Sichtweise nicht bei Allen so gesehen wird, und sie ebenso ihre Vielfalt anmelden würden, so bleibt es doch heute eine sichtbare Realität, die jeder mit offenen Augen heute immer noch nachvollziehen kann. Die sichtbare offiziell anerkannte Individualität fehlte im Sozialismus. So sind Städte eben auch Produkt ihrer ideologischen Präposition. Sie sind neben den Wünschen ihrer Bewohner nach einer Abgrenzung eben auch, staatlichen ideologischen Zielvorstellungen unterworfen. 

Eigentlich müssten wir diese Entwicklungen in einem viel größeren Kontext sehen. So führt auch kein Weg daran vorbei zur Kenntnis zu nehmen, dass jede Woche weltweit 1 Million Menschen in Städte ziehen. Städte nehmen weltweit nur 2 % der Erdoberfläche ein, umfassen aber schon 50 % der Weltbevölkerung. Also die Hälfte der Menschen lebt in Städten und in nahezu 30 Jahren werden es zwei Drittel der Menschheit sein. Der Wettbewerb um einen engen Raum, nimmt damit dramatisch zu. Diese Form der Urbanisierung geht rasend schnell voran. Allein durch diese Zahlen wird deutlich, welche enormen politischen Herausforderungen weltweit damit verbunden sind. 

Wenn Menschen mit dieser Dynamik und Mobilität vom ländlichen Raum, um in der Regel dort eine auskömmliche Arbeit zu finden, in Städte ziehen, dann läuft etwas schief. Diese Problematik gilt ganz besonders für China, das die Speerspitze dieses Prozesses bildet. Aber es gilt ebenso auch für Indien und Afrika, wo eine enorme Landflucht stattfindet und letztlich leider eben auch für Deutschland. Hinzu kommt, dass Städte heute bereits 50 % der fossilen Brennstoffe auf der Welt verbrauchen und sogar 80 % CO2 erzeugen. Also unsere Herausforderungen sind schon evident. 

Sicherlich braucht es von Seiten der Politik ein hohes Verständnis an sozialer Sensibilität, um ein richtiges Maß zum Ausgleich aller Interessen zu schaffen. Städte müssen immer wieder versuchen für Jeden und für jeden Geldbeutel etwas zu bieten, nur dann bleiben sie attraktiv. Denn die Attraktivität einer Stadt lebt im hohen Maße von einer natürlichen Durchmischung ihrer Bewohner. Hierin spiegelt sich ein sehr feines Geflecht von Beziehungen der Menschen mit ihren Erwartungen, Vorlieben und Bedürfnissen im städtischen Raum wider. Und darin liegt auch das Geheimnis, denn ohne weitgehende administrative Lenkung kristallisieren sich erfolgreiche, attraktive städtische Räume heraus. 

Städte entwickeln sich nicht autonom. Jede Stadt ist somit Spiegelbild ihrer gesellschaftlichen Ordnung. Sie sind damit Produkt ihrer ideologischen Prägung. Die Entwicklung von Städten sollte aber nicht partei-ideologischen Zielvorstellungen unterworfen sein. Möglicherweise deutet sich in den Städten, zuerst ein aufkeimender Wandel unserer Gesellschaftsordnung an? Vielleicht sind es sogar Vorboten eines drohenden Zerfalls unseres liberalen Gesellschaftskonsense. Und damit ebenso unserer liberalen Stadtkultur.

6.0       Unruhige Zeiten I Zeitenwende

Die deutsche Bankenlandschaft ist zerstückelt und spielt kaum noch im internationalen Business eine entscheidende Rolle. Ebenso scheint es in Deutschland auch keine weltweit beachteten Großprojekte mehr zu geben. Die Emirate, selbst die Türkei oder der asiatische Markt, sie alle sind laufend an der Entwicklung neuer Megaprojekte der Kategorie einzigartig beteiligt. Ganz zu schweigen von den ambitionierten Future Smart Citys in Asien oder im Nahen Osten.

Soll der höchste Büroturm der Welt gebaut werden oder der größte Flughafen, dann werden diese Projekte rasch, ohne Wenn und Aber umgesetzt, eine Sinnhaftigkeit muss auch nicht abgewogen werden. Bürgerbeteiligung, juristische Einsprüche, Mindestlohn, diverse Vorschriften, Auflagen, Rechnungshöfe, Stakeholder oder und vieles mehr sind nur in viel geringerem Maße zu berücksichtigen. Hierin zeigen sich die Unterschiede zu einer liberalen Gesellschaftsordnung. 

So spüren wir heute auch die Vorzeichen einer Zeitenwende, die nicht nur alle Produktionsbereiche durchdringt. Früher haben wir es Paradigmenwechsel genannt. Diese Zeitenwende ist aber viel mächtiger, denn sie verändert unser gesamtes Lebensumfeld. Einschließlich dem städtischen Wandel. Es verändert sich in einem atemberaubenden Tempo. Das neue „D-Modewort“, Digitalisierung treibt alles vor sich her. Von der Autoindustrie, der Mobilität bis zur Produktion. Es umfasst alle Lebensbereiche. 

Diese Zeitenwende wird von, ich würde es Wirkungsschichten bezeichnen, bestimmt. Sie flankieren diesen Wandel. Wir alle kennen diese Themenkomplexe und erleben es tagtäglich.

  1. Digitalisierung
    • „Wirk- und Merk-Welt“ klaffen auseinander 
    • Fake News verwirren und erzeugen beim Bürger eine schleichende Apathie
    • Selbständige Vernetzung der Dinge untereinander steht vor der Tür
    • Entscheidungsverlagerungen hin zu einer KI werden Wirklichkeit
    • Digitalisierung in der Industrie führt zunehmend zu Arbeitsplatzveränderungen 
  2. Soziale Disparitäten
    • Der Kampf um Anerkennung, Würde und Akzeptanz nimmt zu
    • Identitäten verblassen und gehen verloren
    • Es entstehen bei einer zunehmenden Ausgrenzung vom Arbeitsprozess neue Frei(zeit)räume 
    • Unsere Bildungspolitik begünstigt eine chancenungleiche Bildung 
    • Die Kluft zwischen Arm und Reich wächst stetig weiter
  3. Politischer Wandel
    • Weltweiter wachsender Populismus
    • „West- und Ost Oligarchen“ nehmen Einfluss auf die Politik und Wahlen 
    • Politische Instabilitäten nehmen zu, keine eindeutigen parlamentarischen Mehrheiten
    • Re-Nationalisierungstendenzen in einer globalisierten Welt
    • Unsere politische „Leader Class“ verliert an Qualität
    • Autokratisches handeln wird salonfähig. 
  4. Klimawandel
    • Der „Climate Change“ fordert seinen Tribut und ist unbestechlich
    • Fossile Rohstoffe gehen deutlich zur Neige
  5. Militärstärke
    • Der Besitz von atomaren Zerstörungspotentials bedeutet Unabhängigkeit

Jede einzelne Wirkungsschicht wäre es Wert, näher zu beleuchten. Es sind die Themen, die uns bewegen. Wenn das so zutrifft, wie sollen wir darauf reagieren? Was mir besonders auffällt ist die heutige Stimmung sich zu beklagen. Nicht mehr den Willen aufzubringen, etwas aus eigner Kraft voranzubringen, eine positive Perspektive einzunehmen. Man möchte fast sagen, wir brauchen ein neues Narrativ. Eines, was uns zu einer neuen Leistung anspornt. Wir sollten doch vielmehr an einen positiven Aufschwung gerade durch diesen Strukturwandel in Wirtschaft und Gesellschaft glauben. Doch wer wäre in der Lage dieses Narrativ zu erzählen? Wie hieß es doch vor 22 Jahren – es muss „ein Ruck durch unsere Gesellschaft gehen“. 

Wir müssen leider konstatieren: Heute verzeichnen wir eher eine fragmentierte, atomisierte Gesellschaft. Dieser Veränderungsprozess wird durch rückwärtsgewandte nationale Traumbilder begleitet, die vielen als Halt dienen sollen. Diese Traumbilder müssen als trügerischer Rettungsanker für Unzufriedenheit in einer globalisierten Welt herhalten.

Dennoch sind wir in Deutschland noch die viertstärkste Wirtschaftskraft. Sie beruht auf einem fleißigen Mittelstand. Einer vielerorts beneideten dualen Ausbildung und dies trotz einer desolaten Bildung- und Wissenschaftspolitik, deren Sonntagsreden schon in den letzten beiden Dekaden kaum noch umgeschrieben werden musste. Unser Produkt Made in Germany ist in der Welt noch gefragt. Doch sind unsere „Werte“ an Liberalität und Demokratieverständnis, ebenso wie unsere (technischen) Produkte gefragt? 

In Asien gilt die Devise einer gelenkten Entscheidungspolitik. Wer daran beteiligt ist, der verdient mit. Die Umsetzung staatlich getriebener Mega-Projekte wird dort schneller absolviert. Ein Desaster wie der BER in Berlin wäre dort undenkbar. 

  • Also, ist es auch das Ende unserer liberalen Wirtschaftsordnung?
  • Sollten wir uns fragen was ist besser? 
  • Behindern wir uns selbst und haben wir unser demokratisches System in seiner Handlungsfähigkeit zum Erliegen gebracht?
  • Letztlich, wer weiß schon in einer Welt, die sich derart rasch verändert, was richtig oder falsch wäre, etwa Autokraten?
  • Es betrübt einen schon erkennen zu müssen, dass unsere liberale demokratische Gesellschaft, scheinbar an ihre Grenzen stößt.  
  • Oder ist es nur ein Zwischenstopp um Luft zu holen? 

Also, welche Rolle sollen zukünftig noch unsere Werte und Normen, die für uns so wichtig sind, spielen? Werden wir sie bald über Bord werfen? Die Zeit wegzuschauen und auf die anderen zu warten, die es schon richten mögen, ist vorbei. Und ich zitiere: „Wir können wieder eine Spitzenposition einnehmen, in Wissenschaft und Technik, bei der Erschließung neuer Märkte…. Das Ergebnis dieser Anstrengung wird eine Gesellschaft im Aufbruch sein, voller Zuversicht und Lebensfreude, eine Gesellschaft der Toleranz und des Engagements. … Wir müssen jetzt an die Arbeit gehen. Ich rufe auf zu mehr Selbstverantwortung. Ich setze auf erneuerten Mut. Und ich vertraue auf unsere Gestaltungskraft. Glauben wir wieder an uns selber.“ Zitat Ende, Roman Herzog vor 22 Jahren.

7.0       Summary und Ausblick

Berlin lässt sich nur schwer mit den anderen Hauptstädten in Europa vergleichen. Sie bleibt unbequem, störrisch, unkonventionell, chaotisch. Die Stadt wird weiterhin jährlich um 40.000 Neuberliner wachsen. Die Bundespolitik hat bis heute eigentlich kaum weder positiv noch negativ eine Position für ihre Hauptstadt entwickeln können, insbesondere wenn es um internationale Ansiedlungen geht. 

Die Avantgardeszene war zu Beginn der Motor des nachfolgenden Veränderungsprozesses. Lange Zeit waren die meisten Startups in Europa in Berlin entstanden, heute ist es eher Paris. Internationale Investoren waren in der Aufbauphase schneller und erfolgreicher; sie waren schlichtweg mutiger. Die Stadtteile verändern ihr Gesicht und der Segregations-Austausch unter den Stadtbewohnern hält noch weiter ungebremst an. 

Eine heute beginnende zweite Phase ist der Bau neuer Bürotürme. Es werden bald die ersten spektakulären Hochhäuser entstehen. Somit kann endlich im dreistelligen Millionenbereich investiert werden. Es wird jedoch damit auch uniformer. Die Architektur weltweit tätiger Architekturwerkstätten erobert diese Szene. Der typische Wandel einer wachsenden Metropole mit steigenden Mieten, neuen hochwertigen Arbeitsplätzen, neuen immer jüngeren und besser qualifizierte Bewohnern, schafft ein wiederum neues internationales Hauptstadtflair. Wie schnell jedoch die internationale Wirtschaft, neben den bereits vorhandenen 160 Botschaften und mehr als 200 internationalen Vertretungen, wie auch unzähligen Politikern und Lobbisten, in die Hauptstadt kommen werden, ist noch nicht entschieden. Auch die internationale Finanzwelt tut sich damit schwer. 

Wichtig bleibt, dass diese Stadt nicht ideologisch vereinnahmet wird. Ihre Attraktivität wird wesentlich vom Demokratisierungsgrad unserer weltoffenen liberalen Gesellschaftsordnung abhängen. Nur so kann sie auch ihre Identität neben den Mega-Cities der asiatischen Welt bestehen.

Lassen Sie uns daran teilhaben, und vielleicht die jetzt zweite Phase aktiv verantwortlich mitgestalten.

Autor: DR. BRÜGGEMANN GMBH

Die Brüggemann GmbH ist seit 1996 erfolgreich als Beratungs- und Entwicklungsgesellschaft im gewerblichen Real-Estate- und im Corporate-Sektor tätig. Ihre Partner/innen verfügen über einen breiten Erfahrungsschatz.

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