PERSPEKTIVEN FÜR DEN STATIONÄREN HANDEL

1.0      Mut zur Innovation

Neu orchestrieren heißt es so schön. Es wird wohl nicht reichen, um den Handel aus der Krise zu führen. Es greift zu kurz. Denn schon vor Corona hatte der Einzelhandel deutlich Probleme in den Innenstädten und ganz besonders in den Mittelstädten. 

Die Verbandsmitglieder im Handel sprechen davon, den Spannungsbogen neu zu definieren, neue Risikopartnerschaften zwischen Mieter und Vermieter zu initiieren. Und dann folgt vehement als Folge des Lockdowns, die Forderung an die Städte und Kommunen, sich stärker zu engagieren. 

  • Der Handel braucht zur Unterstützung eine politische Willensbildung, so heißt es, letztlich auch zur Rettung der Innenstädte.
    Schnell kommt der Ruf nach einem 
    Transformationsmanagement, nach neuen Steuerungsformen
    Der Wunsch nach einer neuen hilfreichen „
    Allianz unter den Akteuren“ macht die Runde und die blanke Verzweiflung ist bei den Betroffenen unverkennbar. 

Soweit ist alles nachvollziehbar, aber wer die Realitäten einer städtischen oder kommunalen Verwaltung kennt, wird skeptisch sein. Die allerorts chronische Überlastung, die unsäglichen Abstimmungsprozesse, die Suche nach einem einigermaßen funktionierenden Ausgleich der Interessensgruppen zwischen Bürgern, Unternehmer, Eigentümer/Vermietern, Mietern…, die unterschiedlichen parteipolitischen Zukunftsmodelle und letztlich die knappen Ressourcen, machen die Realisierung einer schlagkräftigen Allianz fast schon im Ansatz wieder zu Nichte. Wer darauf seine Hoffnung setzt, wird dies erkennen müssen und leider zu dem Schluss kommen, so schnell wird sich nichts verändern lassen. Doch der Handel hat, letztlich durch Corona, wahrlich keine Zeit mehr zu verlieren und untätig darauf zu warten, dass sich in der Politik und in der Stadtverwaltung etwas rasch ändern wird. 

  • Die bittere Konsequenz dürfte sein, dass der stationäre Handel vieles von seinen berechtigten Forderungen selbst in Eigeninitiative in die Hand nehmen muss und vor allem erkennen sollte, es gibt gute Chancen für einen Neustart, die es zu nutzen gilt.  

Also die vielen innovativen Ideen für eine nachhaltige Realisierung auf den Prüfstand zu stellen. Komplett neu zu denken und weiterhin neue Konzepte für die Zukunft des stationären Handels voranzutreiben, – letztlich so bitter es klingt, um zu überleben. 

Gleiches gilt und galt für die Autoindustrie. Wer heute noch ausschließlich auf den Verbrennungsmotor setzt und die umfassende Bedeutung der Digitalisierung nicht richtig in seiner Maßgeblichkeit für seinen zukünftigen Absatz erkennt, wird schlichtweg vom Käufer bestraft. Und ähnlich gilt es für den Handel, der sich dieser digitalen Herausforderung für einen kompletten Umbau seiner Verkaufsstrukturen stellen muss. Wohl im Verbund und in Partnerschaft.

Die pandemischen Begleitumstände wirken heute wie ein Turbo. Doch müssen wir sie von den vorher bereits existierenden strukturellen negativen Auswirkungen trennen. Dazu gehört es genau hinzuschauen, was im Handel bereits vorher schon nicht optimal gelaufen ist.

2.0     Eine überbordende Luxuswarenwelt findet ein Ende – Nachhaltigkeit ist gefragt

Nüchtern betrachtet haben viele „sinnlose Produkte“ in den vergangenen Jahren die Schaufenster gefüllt. Bei der heranwachsenden Jugend wird Vieles von dem nicht mehr ohne Widerrede akzeptiert. 

CO2 Belastungen in den Cities, aber auch die sich langsam eingeschlichene Billigwarenproduktion in Fernost, hergestellt unter teilweise menschenunwürdigen Arbeitsverhältnissen. Das Lieferkettengesetz weckt Hoffnung, ob es etwas wirksam verbessern wird, bleibt aber ein großes Fragezeichen. Allein in Bangladesch sollen heute noch ca. 80% der Welttextilverarbeitung stattfinden.

Gerade durch den noch niedrigen asiatischen Lebensstandard und der Vergleichsweise kostengünstigen Produktion sind diese Importe zur „Ramschware“ in Europa verkommen. Es fehlt an der integrierten Gesamtrechnung, denn jedes Produkt, dass nicht mehr in Europa gefertigt wird, bedroht Arbeitsplätze und kann nur durch eine hiesige permanente Umstrukturierung aufgefangen werden.  

So bleibt dem stationären Handel nur noch die Chance, durch Tiefpreisangebote eine möglichst große Menge an Waren umzusetzen. Nicht selten werden zum Ende der Saison 40 Prozent und mehr der eingekauften Waren in der Konfektion schlichtweg einfach vernichtet. Diese unglaubliche Menge an uns überflutenden Waren hat unseren ursprünglichen Qualitätsanspruch von Jahr zu Jahr schleichend zunichte gemacht.  

  • Für den stationären Handel kommt erschwerend die enorme Ausdifferenzierung der Produkte hinzu. Allein in der Handyproduktion bieten die Hersteller eine Vielzahl von Varianten über Farbe, Größe, Speicherkapazität, verschiedene Tariflaufzeiten und vieles mehr an. 

Der stationäre Händler kann gegenüber dem online Handel hier nicht mithalten. Denn diese Warenmenge kann er in seinem Store nicht vorhalten. Hier hat der stationäre Handel in den letzten Jahren deutlich an Terrain verloren. Zu dieser Überlastung durch die wachsende Komplexität der Produktvarianten kommt zusätzlich die Dynamik von Kommen und Gehen von Marken.  Die Vielzahl der Produkthersteller und ihrer Sortimente ob Pflicht oder Kür kann der einzelne Händler kaum noch im Vertrieb glaubwürdig vertreten.  Diese Vielfalt wird auch das jeweils größte Kaufhaus der Welt nicht anbieten können. Der online Handel kann dieses jedoch leisten ohne die Beschränkungen teurer innerstädtischer Standortlagen. Nicht nur aus diesem Grund ist eine konsequente Neuausrichtung für viele Stores überfällig.  

3.0     Chancen erkennen und konsequent umsetzen

Die größte Stärke für den stationären Handel wäre eine hohe Servicequalität. 

  • Eine hervorragende Kompetenz in der Beratung. Diese wurde jedoch in den Jahren aufgrund des zunehmenden Kostendrucks immer weiter abgebaut. 

Also womit sollte der stationäre Handel noch Punkten? 

Der Shop mit einem innovativen Ambiente, die greifbare Haptik der Präsentation des Produktes, eine parallele problemlose, zeitnahe online Lieferung und vielleicht nicht zu unterschätzen, eine so wichtige persönliche Bindung zwischen Kunden und Verkäufer, die sich über Jahre hinweg aufgebaut hat und die so manches verzeiht oder leisten kann auf Basis intensiver, gewachsener Kompetenz in der höchst individuellen Beratung und Entlastung des einzelnen Kaufinteressenten beim Entscheidungsprozess.

Aber passt dies noch bei den großen Filialisten in das Konzept des Personalmanagements und Recruitings und nicht zuletzt kurzfristiger Renditeerwartung der Eigener, bzw. Aktionäre?

Hier hat sich in den letzten Jahren ein Trend als Abwärtsspirale aufgetan, den es nicht so einfach sein wird, wieder umzukehren. Es wird darauf ankommen die Vorteile des stationären Einkaufs viel stärker auch im Bewusstsein des Kunden zu verankern. Hier hilft sogar die aktuelle Pandemie, denn sie vergegenwärtigt, dass zwar Einkauf im online Handel immer problemloser wird, aber dennoch etwas fehlt, was wir vielleicht als menschliche Urbedürfnisse des Miteinander, der direkten Kommunikation bezeichnen würden. 

4.0     Der Marktplatz Innenstadt als Begegnungsstätte bleibt

Der klassische Marktplatz wird immer als Erlebniszone bleiben. 

  • Die Innenstadt wird unser großer Marktplatz für immer sein. Aber dabei wird es weniger um den reinen vordergründigen zeitgleichen Warenumsatz am Ort gehen. Die reine sofortige Übergabe der Ware rückt dabei in den Hintergrund.

Auch hier wird uns die Pandemie, so ungewöhnlich es klingt, helfen, dieses schneller zu erkennen. Sie hat uns gezeigt, wie armselig es ist, in leeren Innenstädten ziellos herum zu laufen und macht uns bewusst, welche hohe Bedeutung eine erlebnisreiche Innenstadt für uns Alle bedeutet. Es kommt auf die Konnektivität der Aktivitäten, auf die Vielfalt des Erlebnisfaktors einer Innenstadt an. Und dazu gehören viele Parameter. 

5.0     Hierfür braucht es Partnerschaften

Daher ist der Ruf nach Partnerschaften und Allianzen unumgänglich, um gemeinsam zu nachhaltigen innovativen Lösungen zu kommen. Unsere allgemein zunehmende Digitalisierung wird eine entscheidende Rolle spielen. Und dies gilt insbesondere auch deshalb, da wir befürchten müssen, dass uns – veranlasst durch die Mutationen des Virus – Corona in den nächsten Jahren noch weiter begleiten wird. 

  • In der Konsequenz bedeutet es eine ganzandere räumliche „Überwachung und Sicherung“ des innerstädtischen Raumes. 

In Asien können wir diese Auswirkungen bereits deutlich verfolgen. In Asien ist es gelungen, dort wo die digitale Überwachung weiter ausgebaut ist, die Pandemie schneller und effizienter einzudämmen. Doch der Verlust an persönlichen Daten ist unweigerlich damit verbunden.

Der stationäre Handel wird sich diesem Thema stellen und Position beziehen müssen. Somit bekommt der Begriff Smart City eine erweiterte pandemische Bedeutung. Es verbindet sich damit eine neue Brisanz in der Diskussion über Datenschutz. Wie schnell diese Veränderungen erfolgen, ist kaum abzuschätzen, aber erste Anfänge sind zu erkennen.

6.0     Innenstadt | Special point of sale 

Der stationäre Handel wird die Erfolgszuwachsraten der letzten Jahrzehnte wohl nicht wieder so schnell erreichen. Ähnlich wie im Bankenwesen wird dies bedeuten, nicht mehr nur ausschließlich bei Privatkunden das Kerngeschäft in den Gebühren und der Kreditvergabe zu sehen, sondern neue Geschäftsfelder zu erschließen. 

  • Somit braucht der stationäre Handel ein komplettes Re-Launche seiner Dienstleistungspalette, die sich auch aus der Einmaligkeit der Zentralität des Standortes ableitet und deshalb auch nur dort ohne Konkurrenz unvergleichbar angeboten und nachgefragt werden kann. 

Hierin liegt sein absoluter Vorteil wie auch Chance. Die Innovationsherausforderungen sind riesig. Erfolgt dies nicht, wird sich die Schere weiter öffnen. 

Die Zuwachsraten im Handelsumsatz der letzten Jahre waren ermutigend. Insgesamt betrug das Wachstum im Jahr 2019 nahezu 27 Prozent, dieses Wachstum war aber überwiegend auf den online-Handel zurückzuführen. Erstaunlich ist, dass während des Lockdowns gerade die Schuhgeschäfte, zu den eindeutigen Verlieren gehören. Als Reaktion auf diesen Strukturwandel war eine massive Filialnetzbereinigung die häufigste Antwort.  

7.0     Weniger Flächenverbrauch, geringere Mieten, kürzere Laufzeiten

Durch die Pandemie und auch danach werden die Mieten nicht mehr das Niveau von 2019 erreichen. Auch die Laufzeit der Mietverträge wird sich verkürzen, von durchschnittlich ehemals 10 Jahren auf 7 Jahre. Ebenso der Flächenbedarf der Mieter wird sich verkleinern.

Dieser Prozess wird sich besonders bei den Spitzenmieten in den Toplagen bemerkbar machen. Damit nehmen die Leerstände in guten Lagen zu und führen in der Folge zu einer allgemein sinkenden Attraktivität des Umfeldes. 

  • Als Antwort soll die Zauberformel „Mixed-Use“ helfen. Also der Versuch unterschiedliche Rendite und Assetklassen zu mixen. 

Wohnen beizumischen. Die Einkaufszentren haben damit erhebliche Probleme schnell und ohne große Umbauten dieses umzusetzen. Eine Herkulesaufgabe sowohl für die Stadtplanung als auch für die Immobilienwirtschaft diesen Prozess wirtschaftlich erfolgreich zu gestalten. Letztlich sind davon ebenso die kreditgebenden Banken betroffen. Allen fehlt die Erfahrung, ob dieser Prozess erfolgreich sein wird. 

Der alte Immobilien Grundsatz Lage, Lage, gewinnt wieder an Bedeutung. Shopping-Center in B-Lagen und gerade in den Mittelzentren scheinen fast out zu sein und Investoren machen seit kurzem einen großen Bogen um diese Assetklasse und Lagen.

Der stationäre Handel wird in den Innenstädten nicht mehr dieselbe Bedeutung wie zuvor einnehmen. Seine neue Rolle, unter den verschiedenen Innenstadtnutzungen bei der Gewichtung des Attraktivitätsgrades, muss sich erst noch kristallisieren. Ähnlichkeiten zu den Bankgebäuden in den Innenstädten liegen fast auf der Hand, wo eine Bankfiliale nach der anderen geschlossen wurde.

Zusammenfassend lässt sich sagen: 

  • Das Mietenniveau sinkt, kürzere Vertragslaufzeiten, in der Summe weniger Mieter, eine kleinere Flächennachfrage, höhere Anforderungen an die Lagequalität und Umfeld und auch das Innenstadtambiente muss mehr denn je stimmen

8.0     Sind Zonierungen ein Ausweg?

Wie dramatisch das Leerstandsrisiko ist, zeigen neuere Umfragen, wonach etwa sich 40 Prozent der Befragten im Handel aktuell von einer Insolvenz bedroht fühlen. Wie könnte es nun weitergehen? 

Nach dem Ende des letzten harten Lockdowns, und immer wieder aufflackernden pandemischen Erscheinungen, wird vieles neu zu justieren sein. 

  • Vielleicht wird es Zonierungen geben. Also begrenzte Distrikte in denen bestimmte Freiheiten zugelassen sind. 

So wie es bereits heute der Fall ist, wo auf den stark frequentierten Straßen mit viel Publikumsverkehr Masken getragen werden müssen und es in den Seitenstraßen entfällt. Natürlich wäre dies alles viel differenzierter und auch die Controlling Systeme wären viel komplexer bis hin zu permanenten Einlasssystemen – jeweils dem individuellen Risikograd für den stationären Handel angepasst. 

Hier dürfte eine Innovationswelle an Sicherungssystemen auf uns zukommen. Heute werden Abwasser- Früherkennungssysteme als Indikator für den Virusnachweis in einer Region erforscht. Vieles könnte sich noch grundlegend ändern und im Laufe der Zeit zum täglichen Miteinander dazugehören. 

9.0     Exklusivität als Wettbewerbsfaktor

Es stellt sich die Frage, was ist an Veränderungen zu erwarten und worauf muss sich der stationäre Handel einstellen. 

  • Ganz oben an wird der Versuch stehen, sich über eine neue Form von „Mixed-Use-Allianzen“ am Markt gegen die Konkurrenz durchzusetzen. Es wird darauf ankommen, bei diesen Allianzen Exklusivität zu vereinbaren. Also nur mit bestimmten Unternehmen exklusiv im Verbund zusammenzuarbeiten, um andere ausschließen. 
  • Des Weiteren muss der stationäre Handel den permanenten Prozess der Store-Revitalisierungen zügig weiter vorantreiben, um neue Attraktivität und vielschichtige Unterschiede zur Konkurrenz zu schaffen. 

In diesem Kontext fällt der Digitalisierung in jeder Ausprägung eine entscheidende Bedeutung zu. Im Gegensatz zum online Handel besitzt der stationäre Handel nur rudimentäre Daten über seine Kunden. Hier wird mehr geschehen müssen, um eine digitalbasierte Kundenbindung aufzubauen. Die Mischung von stationär und online aus einer Hand wird dabei entscheidend sein. Live Shopping auf Intergram reicht da nicht mehr aus. 

Es heißt wie immer bei den anstehenden Veränderungen, nicht aufzugeben, neugierig zu bleiben, (s)einer Passion nachzugehen, um Neues zu kreieren.

10.0    Welche Rolle können die Stadtverwaltungen übernehmen? 

Eines hat die Pandemie sicherlich gezeigt. 

  • Innenstädte, sofern es keinen stationären Handel mehr gibt, sind so wie heute konzipiert, öde. Ihre Funktion ist es aber, zur Kommunikation und Vielfalt einzuladen. Sie sollen Menschen zusammenbringen und sie interagieren lassen. 

Die Stadtplanung trägt die Verantwortung, einen Ausgleich zwischen den Akteuren zu steuern. Dabei geht es weniger um die schiere Quantität, sondern eher um eine Qualität im Angebotsmix. 

Großflächiger Handel erhöht nicht unbedingt den Attraktivitätswert in einer Innenstadt. Eine kooperative Zusammenarbeit ist wichtig, wobei die Privatwirtschaft gut beraten ist, weitgehend unabhängig zu bleiben. Denn die Zeiträume in der Politik, bis Entscheidungen getroffen und umgesetzt werden, nehmen für die in der Regel dringenden und notwendigen Veränderungen im Handel viel zu viel Zeit in Anspruch. 

Sicherlich ist bei den Verantwortlichen in der Politik der Wunsch zur Willensbildung gegen eine Verödung der Innenstädte vorhanden, aber eine zeitnahe Umsetzung wird nicht garantiert werden können. Die Installation neuer Bürgerbeteiligungsmodelle sowie Steuerungsformen und ein extra daraufhin ausgerichtetes Transformationsmanagement sind ein guter Anfang. Doch ist das Zusammenspiel  bei dieser komplexeren,  unzählige Elemente umfassenden Funktionsvielfalt, wie es in den Innenstädten der Fall ist, eine der größten Herausforderungen an die Professionalität von Politik und Verwaltung. 

Allein die simple Frage, wem gehört die Stadt, dem Bürger? Welchem Bürger, dem jüngeren, dem Wohlhabenderen, den Einheimischen, den Zugereisten – dies lädt zum Nachdenken ein. Es bleibt die Kunst, im demokratischen Diskurs immer wieder von Neuen die Weichen zu stellen für weitsichtige Entscheidungen. 

11.0     Zwei große Tanker.

Die großen Warenhäuser und die Mega-Einkaufscentren sind Monolithen und eher singuläre Omnichannel Plattformkonzepte in der Innenstadt. Für sie gelten andere Gesetze. Zwar sind sie wichtige Frequenzbringer, aber es ist mit den alten architektonischen Konzepten eine Integration im städtischen Gefüge nur schwer zu leisten. Es wird spannend sein, welche neue Ansätze entwickelt werden können. 

  • Vielleicht wird es aufgrund der geringeren Shop-Nachfrage hier ebenso zum Mixed Use kommen, also Wohnen, Büro und Freizeitangebote wird dann in einem noch größeren Anteil beigemischt.

Innenstädte sind unsere großen Park-Hot-Spots. Doch hier dürfte es mittelfristig zu großen Veränderungen des Parkraumangebots kommen. Die Nachfrage wird durch neue Erschließungskonzepte, Carsharing und einen erweiterten digital basierte ÖPNV sich verändern. 

  • Die Bedeutung von Parkraum wird abnehmen. 

Gleichzeitig ist es die Voraussetzung für mehr verkehrsberuhigte Innenstadtzonen und einer deutlichen Zunahme von viel mehr Grün in den Innenstädten. Nicht nur grünbedachte Dächer, auch Straßenräume mit einer ganz anderen Qualität an Grün. Hinzukommen die heute vielerorts bereits etablierten neuen Grünkonzepte im Wohnbereich, wo auf den Dächern Obst und Gemüse wäschst. 

12.0    Welche Auswirkungen wird die Pandemie auf die Wirtschaftlichkeit des Standortes haben?

Unstrittig ist wohl ein Rückgang der Flächennachfrage in der City. Dies gilt sowohl für den stationären Handel als auch für die Büronachfrage. Es ist nicht zu übersehen, dass Home-Office Arbeitsplätze den Unternehmen einen viel größeren monetären Spielraum bieten. Sie können damit viel flexibler auf wirtschaftliche Schwankungen reagieren.

  • In der Folge wird es in der Übergangsphase sinkende Erlöse für die Vermieter bedeuten. Insbesondere für die laufenden Projektentwicklungen ist damit die Kalkulation komplett neu zu justieren. Die Nachfrager werden sich in der Übergangsphase äußerst bedeckt verhalten. 

Gleiches gilt für die Kreditinstitute, die schon heute sehr restriktiv Kredite vergeben. Es wird zu Verkehrswertberichtigungen kommen, mit den üblichen Folgeerscheinungen, wie ggf. Eigenkapitalnachschuss oder Prolongation-Verweigerungen bis hin zu Kreditkündigungen. 

Es ist zu hoffen, dass nach einer Wiederöffnung der Handelsstandorte durch einen höheren Nachholbedarf vielleicht einiges kompensiert werden kann. Diesem zeitlich eher beschränkten Verhalten könnten jedoch massive Entlassungen aus anderen Branchen gegenüberstehen, die den Konsumenten eher zu einem mäßigen Kaufverhalten veranlassen können.

Es sollte zum Schluss nicht unerwähnt bleiben. Es ist nicht die einzige vulnerable Gruppe in unserer pandemischen Zeit. Das Gaststätten- und Beherbergungsgewerbe sowie die Veranstaltungs-, Kultur und Kunstszene sind nicht minder betroffen. Ebenso die Freizeit- und Reiseindustrie. Sie alle sind wichtiger Teil der Innenstädte und tragen zur Vielfalt und dem wirtschaftlichen Erfolg der Städte bei. 

Es bleibt ein komplexes und äußerst spannendes Thema und wären damit nicht persönliche Schicksale und Insolvenzen verbunden, dann würden wir viel entspannter und zukunftsorientierter neue Konzepte und Ideen prüfen können. 

Wolfgang Brüggemann
Februar 2021