Verantwortung spüren, das Gesicht der Stadt verändert sich

Das Gesicht der Stadt Berlin beginnt sich in den Stadteilen sehr unterschiedlich zu verändern. Die seit Jahren eher unspektakulären Stadtteile, die wesentlich durch die dort oft seit Jahren lebenden Bürger geprägt wurden, bekommen einen ungeahnten Innovationsschub.

Internationale Investoren und Developer investieren im großen Stil gerne auch in ehemalige Fabriken oder Postgebäude und tragen dazu bei, ein neues Umfeld zu schaffen. Eine der Folgen ist, dass das Klientel im Kiez sich rasant verändert. Es entstehen neue Nutzungen durch neue Mieter.

Eine Startup Szene, Künstler aus verschiedenen Branchen dienten als „Durchlauferhitzer“.

Die Mieten steigen schnell rapide an und diejenigen, die dort heute noch die Miete bezahlen können, sind bei weitem nicht mehr diejenigen, die dort manchmal ihr ganzes Leben im Kiez einen Gewerbebetrieb hatten und auch wohnten.

Es ist der scheinbar ganz normale Prozess einer wachsenden Stadt, die das Kapital anzieht und denjenigen die dort investieren lukrative Renditen versprechen. Nüchtern müssen wir feststellen, dass diese Spirale des fortgesetzten rasanten Investments zu einer Entmischung der Sozialstrukturen führt.

Der „neue Kiez“ schafft sich seine „neuen Nutzer“.

Wer den aktuellen Mietzins nicht mehr erwirtschaften kann muss gehen. Die im Kiez durch ihre Bewohner gewachsenen historischen Bezüge fallen step by step weg.

Es führt zu einem „Entleeren“ des einstigen Flairs.

Heute hat eine neue Bewohnerschaft das sagen, mit neuen Erwartungen und einem anderen Nachfrageverhalten. Nicht selten finden wir dort heute hochwertige Restaurants mit einem Michelin Stern.

Uniformität als Folge?
Nun, dies ist nichts Neues. In der Stadtsoziologie reden wir von Segregation. Es ist ein stets brisantes politisches Thema. Wohin dieser Prozess führt, ist unschwer zu prognostizieren. London ist in Europa das wohl beste Beispiel. So sind auch nicht ohnehin die Pendlerzahlen zwischen dem Berliner Umland und der Stadt in den letzten Jahren um mehr als 100 % gestiegen. Wer London noch vor dem Finanzboom kennt kann dies sicherlich sehr gut nachvollziehen.

Die Attraktivität jeder Stadt hängt u.a. mit dem Grad ihrer Vielfalt (Diversity) zusammen. Dazu gehört es auch das Typische, das Ursprüngliche zu bewahren. Also die historische Dimension, – es bedeutet, das Gewachsene einer Stadt nicht aus der politischen Stadtplanung zu verdrängen. Dies hat nur marginal mit einem reinen Denkmalschutz an Fassaden zu tun.

Es bedeutet, keinen Monostrukturen Vorschub zu leisten und eine Vielfältigkeit, die sich vor allem durch die unterschiedlichen ökonomischen Verhältnisse ihrer Bewohner darstellt, zu bewahren. Letztlich beruht es auf der Akzeptanz der Verantwortung, der vielen Akteure in der Stadt, sie „freiwillig“ wahrzunehmen. Denn nicht alles lässt sich regeln und durch Verbote umsetzen.

Es braucht einen unausgesprochenen Konsens an Wertvorstellungen und Normen, wenn man investiert. Ein Maß an Leidenschaft für sein Tun in der Stadtgemeinschaft wäre zu wünschen. Also nicht nur scheinbar Lebenswertes(Effizienz und Erfolg) zu bestimmen, sondern auch Liebenswertes in einer Stadt zu fördern und dafür einzutreten; also, anders ausgedrückt, dass man dort auch gerne Leben möchte und sich wohl fühlen würde.

Der Stadtkultur Respekt zollen.
Das trifft nur noch äußerst eingeschränkt für die heutige weltweite, an vielen Orten agierende Investorenszene zu. Wer lebt und arbeitet noch als Investor in der Stadt, wo sein Kapital über Anlagegesellschaften, Fondsgesellschaften und viele verzweigte Wege seine optimale Rendite sucht.

So müssen wir in den heutigen Agglomerationen den Trend eines nicht selten „entseelten Umfelds“ konstatieren.

Ob wir in Berlin wollen oder nicht, die vielen Beispiele anderer, weiter entwickelter Agglomerationen, sprechen für sich. Innenstädte werden in hohem Maße durch internationale Investoren (mit)bestimmt und damit ihren Vorstellungen entsprechend nicht unmaßgeblich geprägt. Es ist gleichbedeutend mit einer zunehmenden Uniformität der Innenstädte.

Internationalismus wäre das Stichwort. Eine universelle ähnliche Architektur austauschbar, kreiert aus internationalen Planungswerkstätten entsprungen.

In Europa fällt es zum Glück nicht so sehr ins Gewicht, aber in Afrika oder dem Nahe Osten wirkt es mancherorts schon skurril, insbesondere wenn der Pferdekarren vorbeifährt oder das Minarett als Nebengebäude diesen kulturellen Clash aufzeigt. Modernste Fassadenkultur im Bestformat als Fremdkörper im Umfeld.

Wer kann und soll was tun?
Die spannende Frage, worauf wir bald eine Antwort finden sollten ist: Was können Bewohner, wenn sie diese Entwicklung nicht wollen, dagegen unternehmen? Wenn sie also nicht wollen, das wohlhabende Bewohner in die bevorzugten Teile der Stadt ziehen und andere ihren alten Kiez verlassen müssen und beispielsweise eine nicht kommerzielle Kunst- und Musikszene zwar als Avantgarde zum Anheizen des Kiez gerne gesehen wird, dann aber wenn die Mieten steigen, diesen möglichst geräuschlos wieder verlassen sollen. Und vieles dergleichen mehr. Reichen also unsere Instrumente der Stadtplanung aus?

Die Kräfteverhältnisse werden alle vier Jahre einmal neu bestimmt. Davor und danach haben Lobbyakteure viel zu richten. Und vor allem müssen wir uns fragen: Was wäre der richtige Weg? Wie soll ganz praktisch die politische Entscheidung für Veränderungen herbeigeführt werden? Sind wir nicht in dem Dilemma einer Konsensgesellschaft dem Austausch der Kräfte, der Argumente, des Kapitaleinsatzes verhaftet? Es ist eben auch für Politiker kaum noch möglich, richtig erkannte Ziele ohne weiteres umzusetzen. Ändern wollen wir diesen demokratischen mühevollen Kräfteprozess sicherlich nicht, denn wohin es führt, können wir bereits in jüngster Zeit wieder erahnen, wenn wenige entscheiden was richtig und falsch ist.

Die wichtigste Frage wird sein, wieviel Zeit haben wir, als richtig Erkanntes, in Handlungsvollmachten umzusetzen?

Die städtischen Instrumente eine Kita, einen Spielplatz, oder Ausgleichspflanzungen zu fordern greifen hier nicht. Staatliche Mietpreisrestriktionen zielen ausschließlich auf die Mieterklientel. Die Gewerbetreibenden bleiben davon unberührt. Doch gerade der Mix schafft in der Summe das Besondere in einem Kiez. Bewahren wollen heißt auch, bereit zu sein zu verzichten. Also einer schnell wachsenden mittelfristigen Prosperität zu entsagen.

Wer wird das schon wollen, wenn er sich nicht betroffen fühlt?

Bereitschaft zum Verzicht
Es heißt auch abgeben zu können, um langfristig zu gewinnen. Die Umlandproblematik ist gerade in Berlin und Umgebung evident. Denken wir an die Städte Nauen, Brandenburg oder Frankfurt (Oder), alle diese Städte könnten mehr Wachstum brauchen. Frankfurt (Oder) hat heute nur noch 56.000 Einwohner. Eine geschmähte Region für internationale Investoren. Obwohl nicht weniger als 45 Minuten von der Berliner Stadtgrenze entfernt und bald mit einem internationalen Flughafen vor seinen Toren.

Wir könnten und müssten in Berlin viel mehr mit diesen Städten zusammenarbeiten, um die Kernregion Berlin zu entlasten. Wir könnten neue qualitätsvolle Räume schaffen, wo es sich für ein internationales „Business-Klientel“ auch lohnen würde zu wohnen, zu investieren, – wo man sich eben auch wohl fühlen kann.

 „Freiräume ohne ökonomische Zwänge“

Erinnern wir uns an das Desaster der Nachnutzung des Flughafens Tempelhof. Auch hier ging es um Wachstum und um die so dringend benötigten Flächen für Wohnungsbau. Durch den Bürgerbescheid gab es ersteimal ein Moratorium. Ich bin sicher, dass sowohl die Befürworter als auch die Gegner nicht geahnt hatten, welch positive und ungezwungene Akzeptanz diese frei zugängliche Fläche für viele Bürger der Stadt bedeuten würde.

Wir brauchen soziale Freiräume, die von der Politik erkämpft werden müssen. Aber dies reicht bei weitem nicht aus, denn sie sind zunächst künstliche Orte in der Agglomeration, wenn sie auch viel Platz für nicht unbedingt kommerzielle Nutzungen geben. Wir brauchen einen breiten Konsens in der Investorenszene hier und dort nicht für jeden Quadratmeter die optimale Miete zu fordern.

Wie in jedem guten EKZ gibt es Mieter, die Frequenzbringer sind und eine hohe Miete nicht bezahlen können, aber zur Attraktivität des ganzen Centers einen unverzichtbaren Beitrag leisten. Wollen wir Attraktivität, dann brauchen wir Diversity. Es bedeutet den Wert zuerkennen und für den letztlich damit verbundenen allen zugutekommenden Nutzen, zu werben.

Die negativen Effekte einer entseelten Innenstadt kennen wir alle. Besonders dann, wenn die Geschäftszeiten vorbei sind und sich Tristes einschleicht.

Die Notwendigkeit zum Konsens
Nicht alles lässt sich durch Verordnungen und Restriktionen regeln, auch wenn sie hier und dort notwendig sind und wir den Eindruck haben, es könnte auch das Einhalten dieser Restriktionen nicht schaden. Doch viel mehr kommt es in der modernen Stadtgesellschaft auch darauf an, einen gemeinsamen Konsens zu schaffen. Ähnlich wie wir es so sehr in den Kleinstädten schätzen. Das berühmte Flair, die Gemeinsamkeit, die Verbundenheit mit seinem Umfeld. Dies muss auch für moderne Cities gelten.

Daran muss die Lokalpresse, die lokale Politik und der Bürger selber arbeiten. Es setzt voraus zu wissen, was dem Bürger wichtig ist. Und eben auch zu wissen, was man in der Stadt nicht will. Dieser permanente Bürgerdialog darf nicht abreißen. Hierin besteht eine typische Bringschuld aller Verantwortlichen daran mitzuarbeiten. Wie in jedem Unternehmen kann durch die Beteiligung der Mitarbeiter am Entscheidungsprozess die Effektivität und Zufriedenheit erhöht werden. Es setzt ein hohes Maß an Transparenz voraus.

Eigentlich ist es eine Selbstverständlichkeit, niemand kann sich der Notwendigkeit entziehen stets ein Teil des Erfolgs, aber auch des Misserfolgs in der Gemeinschaft zu sein. Wenn es etwas schiefläuft, ist es in den letzten Jahren leider zu einem Ritual geworden die Politik sofort an den Pranger zu stellen. Als ob sie alles sofort für jeden passend regeln könnte. Hier braucht es viel mehr Austausch und Engagement auf beiden Seiten.

Was die Zivilgesellschaft in der Lage ist selbst zu leisten ist enorm und wird viel zu wenig honoriert. Wichtig ist es den Dialog nicht abreißen zu lassen. Die Politiker müssen mehr Mut aufbringen diesen Dialog zu suchen und nicht nur dann, wenn etwas schiefläuft.

 

 

 

 

 

 

Autor: DR. BRÜGGEMANN GMBH

Die Brüggemann GmbH ist seit 1996 erfolgreich als Beratungs- und Entwicklungsgesellschaft im gewerblichen Real-Estate- und im Corporate-Sektor tätig. Ihre Partner/innen verfügen über einen breiten Erfahrungsschatz.

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