Mittelstädte auf der Suche nach einer neuen Identität

Immer mehr Ladenbesitzer müssen aufgrund eines zunehmenden Mangels an Kundenfrequenz in den Innenstädten ihr Ladengeschäft aufgeben. Der Leerstand nimmt drastisch zu. Das Produkt „Fußgängerzone“ der 70-iger Jahre beginnt an Anziehungskraft zu verlieren.

Perfekte Stadtmöblierungen, bunte Gehwegpflasterungen, sowie Brunnen und moderne Skulpturen prägen zwar noch das städtebaulich perfekt abgestimmte Bild, aber sie kaschieren den langsamen Attraktivitätsverlust. Eine gestalterisch angeordnete Baumreihe entlang der Fußgängerzone mit den modernen Sitzbänken sind Sinnbilder der einst so modernen deutschen Innenstädte und wirken heute eher fade.

Dass am Sonntag dort oft nichts passiert ist allen Bewohnern vertraut, aber dass es sich an langen Sonnabenden und in der Woche schon gar nicht mehr so recht mit Leben füllt, beginnt manchen Bewohnern zu irritieren.

Die Städteplanerisch, als entgegengesetzte Pole an den Enden der Fußgängerzone vorgesehenen Einkaufszentren oder Kaufhäuser, sind bereits vom Aussterben bedrohtund mancherorts geschlossen.

Kaufhäuser sind vergangene Dinosaurier.

Früher konnten sie noch mit der Vielfalt ihres Warenangebots punkten. Sie sind heute keine Magnete mehr. Ganz im Gegenteil sind diese Gebäude, mit ihren einst so stolzen Gebäudefassaden, die sich meist nicht ins städtische Gesamtbild der umgebenden historischen Fassaden eingliedern ließen, – sind heute, zum sichtbaren Mahnmal dieses schleichenden Niedergangs geworden. Man möchte fast sagen, eben alles hat ein Ende.

Nach dem schier grenzenlosen Wachstum kommt schlichtweg der Rückbau. Die Verantwortlichen in Politik und Stadtplanung haben versucht, nicht immer dem Investorendruck nach mehr Verkaufsfläche nachzugeben. Oft ohne Erfolg. Und dies nicht nur in der Innenstadt, auch an vielen anderen Orten der Stadt.

Heute braucht man nicht mehr in die Innenstädte zu fahren, um seinen Bedarf zu decken. Neue Einkaufszentren im weiteren Umfeld mit einem breiten Warensortiment haben diesen Prozess noch beschleunigt. Sinnentleerte, aber gut erreichbare Fachmärkte mit ausreichenden Parkplätzen an den Magistralen der Stadt bieten einen bequemen Einkauf. Also warum noch in die City fahren, wenn dort eh nichts mehr passiert. Einkaufen kann man auch woanders, – und zum Teil besser.

Die Sogwirkung der Großstädte beschleunigt den Niedergang
Befindet sich die Mittelstadt dann noch im Sogbereich einer „Großstadt“ dann kommt es über kurz oder lang zum „Niedergang“ der Innenstadt. Wer ein technisches Produkt sucht, findet es dort eh nicht. Also man fährt lieber gleich in die „richtige Innenstadt“. Es sind dank Regionalzug oder Autobahn meist nur 30 Minuten.

Städte in Nordrhein-Westfalen sind durch die hohe Dichte an Klein- und Mittelstädten davon besonders betroffen. Und zu guter Letzt kommt noch online Einkauf und Smart Cityhinzu. Insbesondere Standardprodukte, wie technische Geräte, Bücher aber auch die aktuelle Mode werden in hohem Maße online nachgefragt.

Also wohin führt uns in den kommenden Jahren dieser Transformationsprozess? Und welche Maßnahmen müssen wir jetzt ergreifen, um die richtigen Weichen für eine neue attraktive Kern-City in den Mittelstädten zu stellen?

Die Mobilität wird bleiben, der Onlinehandel weiterwachsen. Die Einkaufszentren und Kaufhäuser in den Städten werden dagegen weiter veröden.

Wir müssen uns also Fragen, was macht eine Kern-City einer Mittelstadt unter diesen Voraussagen noch attraktiv? Welche Attraktivitätsfaktoren sind wichtig, welche fallen weg und können durch andere ersetzt werden, denn eins wird bleiben, der Wunsch der Menschen sich zu treffen, direkt aufeinander zu stoßen, um Gemeinsamkeit zu erleben und ein Maß an Wir-Gefühl zu spüren. Wodurch lässt sich der bisher maßgebende Attraktivitätsfaktor „Einkaufen“ ersetzen?

Für die im Umfeld von Großstädten gelegenen Mittelstädte kommt allerdings immer deutlicher ein positiver Effekt hinzu. Dies trifft besonders für Berlin zu. Berlin wächst um ca. 40.000 Einwohner pro Jahr. Damit verbunden sind knapper werdende Ressourcen an Liegenschaften und stetig wachsende Bodenpreise, wie auch deutlich ansteigende Mieten.

Heute heißt es schon zu teuer „to busy“, vorausgesetzt der Transformationsprozess zu einer neuen „Smart City“ geht nur langsam voran. Dann werden vorerst noch hohe Emissionen, Lärm und hektische Geschäftigkeit in der Kern-City das Geschehen dominieren. Doch dies wird sich langsam umdrehen.

Die Berliner Stadtpolitik würde heute gut daran tun, rechtzeitig mit seinem Umland einen Ausgleich zu suchen, um langfristig seine Attraktivität durch geringe Mieten zu halten. Letztlich auch, um Solidarität mit diesen abgehängten Regionen zu üben. Doch darauf warten können die Mittelstädte nicht. Sie müssen selbst eigene Konzepte entwickeln.

Mittelstädte brauchen neue Konzepte
Wir müssen uns fragen, welche Attraktivitätsfaktoren werden in der Stadt zukünftig für die Leistungsfähigkeit und Prosperität bestimmend sein?

Wir haben insbesondere bei den jungen Menschen eine nie dagewesene Freizeitorientierung. Cafés, Restaurant, Kneipen, Event-Veranstaltungen, Kinos, Theater, selbst Opernhäuser und Konzertsäle sind brechend voll. Man fühlt sich in eine neue Zeit versetzt, die eher an die mediterrane Lebensweise erinnert. Man lädt zum Brunch, zum Lunch und am Abend Gäste und Freunde nicht mehr nach Hause ein, sondern „Out Door“.

Was hätte die Fußgängerzone auch am Abend in den Mittelstädten zu bieten. Kommt nun noch hinzu, dass es keine gewachsene Altstadt mit schönen historischen Fassaden gibt, dann ist über Tristes zu spüren, spätestens nach dem Schließen der Ladengeschäfte. Stehen Läden zum Teil leer und wird die Schaufenstergestaltung noch von KiK & Co. übernommen, nimmt das Unheil seinen Lauf. Da helfen dann auch keine neuen Sitzbänke oder Springbrunnen mehr, da sie eh schon ausreichend vorhanden sind.

Der Titel heißt: „Mittelstädte auf der Suche nach einer neuen Identität“. Es bedeutet, sie müssen sich eine neue Identität erarbeiten.

Also was wäre zu tun? Die Stadtkasse braucht um seine Aufgaben zu bewältigen Steuereinahmen durch eine solide und beständige Wirtschaft. Wird es ausreichen, dieses aus den Freizeitaktivitäten der Besucher zu erwirtschaften?

Bereits heute sehen wir, dass um die Großstädte die Pendlerströme immer weiter anwachsen. 1000.000 Pendler und mehr am Tag sind keine Seltenheit. Die Pendler erwirtschaften Ihre Dienstleistung weit weg vom Wohnort. Katastrophal wird es, wenn sich Versäumnisse der Politik, wie in den Pariser Banlieues einstellen, und weit entfernte Großsiedlungen um eine Megapolis beginnen zu veröden.

Erinnern wir uns, was waren eigentlich die wichtigsten ursprünglichen Gründe für das Entstehen von Dörfern und später Städten?

Sicherlich die geographische Lage am Fluss oder einer Talmündung waren Ursachen für die Auswahl des Standortes. Dies ging einher mit den Handelsströmen. Daraus haben sich Machtzentren entwickelt. Auch der damit verbundene Kommunikationsaustausch an Informationen spielte eine wesentliche Rolle, um sich an einem zentralen Ort begegnen zu können.

Mit dem Entstehen der Dörfer ist das Wir-Gefühlder Bewohner gewachsen. Dieses war immer verbunden mit dem Stadtkern und auch mit einem Stolz seiner Bewohner auf ihre „eigene Stadt“. Also auch in der Konsequenz sich vom Umland abzugrenzen. Letztlich sich durch Stadtmauern zu schützen. Man hatte jetzt etwas zu verlieren, das es zu verteidigen galt.

Dabei war der Handel einer der wichtigsten Treiber. Doch gerade dies trifft in unserer Gesellschaft in diesen Innenstädten nur noch bedingt zu. Handel kennt keine Grenzen mehr. Sie können die Produkte fast von jedem Ort aus, online erwerben. Es gibt kaum noch Produkte, die nur an diesem Ort verkauft werden, oder anders gesagt, nur dort angeboten werden dürften. Wir kennen es leider seit Jahren, wenn wir auf Reisen sind. Es gibt kaum noch etwas landestypisches. Die in den letzten 20 Jahren geschaffenen Kapazitäten sind schlichtweg zu üppig.

Doch die Realität in diesen abgehängten Städten sieht heute ganz anders aus. Kaum noch Handel, kaum noch Frequenz auf in der Straße der City. Sinkende Kaufkraft in der Stadt. Leerstand parallel entlang der Fußgängerzone in gleich mehreren Erdgeschossläden und verklebte Schaufenster. Investoren erklären diese Städte für eine No Go Areas. Und die Bewohner verhalten sich ähnlich.

Sie kaufen in der nahegelegenen Großstadt ein, und kehren „Ihrer“ Innenstadt den Rücken. Was könnte Sie an dieser Innenstadt auch noch reizen? Welche Erwartungen könnten Sie formulieren?

Bis es zu diesem tristen Zustand kommt gibt es allerdings eine Vorgeschichte. Eine Verkettung von sich weiter negativ summierenden Ereignisse, die sich dann, ab einem bestimmten Punkt mehr als nur ihrer Summe verstärken. Leerstand, abnehmende Steuereinnahmen, sinkende Attraktivität des Warenangebots.

Mit diesem Prozess geht in der Innenstadt ebenso eine soziale Entmischungeinher. Eine Zunahme von Menschen, die keiner geregelten Arbeit nachgehen. Cafés, die nur dann noch existieren können, wenn Sie bereit sind, sich mit der Bestellung von einem Getränk an einem Tisch für den ganzen Vormittag zufriedengeben.

Das Straßenbild an den Ecken verändert sich. Der Attraktivitätsquotient dieser Innenstadt sinkt in der Investorenszene auf „No Go“.

Alle müssen an einem Strang ziehen.
Genug der Bestandbeschreibung, also wer kann in dieser Situation zur Prosperität beitragen und hat auch die Plicht dazu? Wer kann einen turn around initiieren? Verantwortlich sind Alle. Der Bürger seiner Stadt, die Investoren, die Politik und die Stadtverwaltung. Sie müssen alle lernen, in einem solchen Ausnahmefall an einem Strang zu ziehen.

Eine gute Vorbereitung sind erste Veranstaltungen, wo die Beteiligten zu Wort kommen.

  • Sie sollen ihre Vorstellungen und ihre Ziele formulieren.
  • Es gilt im Interessensausgleich neue Wege zu skizzieren.
  • Ziele auszumachen.
  • Die wirtschaftliche Machbarkeit zu überprüfen.
  • Partner aus der Investorenszene für Projekte zu gewinnen.
  • Und letztlich ganz allgemein dafür im Rahmen eines Städtemarketings, die Attraktivität wieder neu aufzubauen.
  • Die Stadtverwaltung sollte mit der gewählten Politik, Ideen und Ziele vorgeben; sie zur Diskussion stellen.
  • Ihren Wissenstand erläutern und gelungene Beispiele aus anderen Regionen aufzeigen.

Wohnen anstatt Handel?
Welche subsidiäre Nutzung kann den schrumpfenden Handel ersetzen? Keine Nutzung kommt dieser Nutzung Handel gleich. Daher sollten mehrere Nutzungsarten in ihrer Summe ein gemeinsames Äquivalent bieten.

Wohnen in den Innenstädten gewinnt wie beschrieben an Zuspruch. Besonders junge Leute sind eher daran interessiert, direkt im Zentrum zu wohnen. Sie schätzen die vielfältigen fußläufigen Freizeitangebote an Restaurants, Kneipen, Cafés, Kino u.dgl.m. Wohnen in den Innenstädten bietet darüber hinaus eine ganz neue Chance für mehr Frequenz rund um die Uhr. Gepaart mit umfassendem Grün und einer Priorität für Fahrradverkehr kommt neue Qualität zustande. Die Zeit dafür ist heute genau richtig.

Wir werden zukünftig in weniger als 10 Jahren einen völlig anderen Individualverkehr in den Innenstädten haben. Diesel- und Benzinmotoren werden mehr und mehr verbannt sein. Die Umweltauflagen nehmen heute schon drastisch zu. Die grüne Plakette bekommt eine neue fast existenzielle Bedeutung.

Die Innenstadt wird zukünftig viel mehr durch kulturelle Angebote und Freizeitaktivitäten bestimmt sein. Neuer Wohnraum entsteht und neue Konzepte, die auch die Nebenkosten, wie Energieversorgung berücksichtigen, schaffen eine andere Nachfrage und Qualität. Kommt hinzu, dass die Stadtverwaltung nicht nur durchschnittlichen Wohnungsbau anzubieten vermag, sondern in Zusammenarbeit mit Architektenkammern besondere innovative Wohnprojekte auf den Weg bringt, dann ist schon viel erreicht.

Autor: DR. BRÜGGEMANN GMBH

Die Brüggemann GmbH ist seit 1996 erfolgreich als Beratungs- und Entwicklungsgesellschaft im gewerblichen Real-Estate- und im Corporate-Sektor tätig. Ihre Partner/innen verfügen über einen breiten Erfahrungsschatz.

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