Führt unsere digitalisierte Welt zu einem Vertrauensverlust?

Wir haben es geahnt, dass es so kommen würde. Doch es ist schneller zur Realität geworden als wir es wahrhaben wollten. Die uns umgebende digitalisierte Welt durchdringt fast alle Lebensreiche und lässt keinen freien Raum zu. Sie greift sowohl im Beruf als auch im Privaten ohne Rücksicht zu nehmen ein.

Im Unterbewusstsein haben wir es gespürt. Beim Telefonieren, beim Verwenden von Social Media-, beim Surfen im Internet, beim online Einkauf, wie auch beim Bezahlen mit Kreditkarte oder im Auto mit der Superzusatzfunktion des Emergency Calls, damit auch ohne drücken der Taste, unbemerkt alle unsere Gespräche im Auto glasklar ohne Nebengeräusche, auf dem „Screen wissensdurstiger Organisationen“ gespeichert werden können. Wir gehen, egal wo wir uns bewegen, nicht mehr verloren.

Unser kommunikatives Zusammenleben wird in Daten aufgesplittert. Es lässt sich zeitgleich, zeitlos konservieren.

Daten sind im Grunde nichts anderes als nur bedeutungslose bits und byts; sie sind schlichtweg ohne Wert. Meist nur Zahlen oder Fragmente eines Gesprächsmitschnitts. Sie gewinnen ihren Wert nur dadurch, dass sie „In-Wert gesetzt“ werden. Und genau darin liegt ihre Brisanz. Wie so oft ist zu hören, ich habe „nichts zu verbergen“, wenn es hilft diejenigen herauszufiltern, die etwas verbergen wollen, dann sollen sie doch meine Daten nehmen.

Darin spiegelt sich ein großer Vertrauensvorschuss wieder. Eigentlich eine gute Grundeinstellung. Vertrauen jemanden zu schenken ist fundamentale Basis unseres Zusammenlebens, daran mangelt in großem Maß. Doch genau hierin liegt auch der Kern des Problems. Denn wir zerstören genau dieses Fundament eines über Jahrtausende eingeübten Vertrauensvorschuss, dass unsere Kulturen gelernt haben, einem anderen gegenüber entgegenzubringen.

Nur wie verhält es sich zwischen dem Einzelnen und einer Organisation, die über diese Daten verfügt? Wir legitimieren turnusmäßig alle vier Jahre unsere Politik und erwarten, dass mit unseren Daten verantwortungsvoll umgegangen wird.

Einmal gespeicherte Daten haben aber die Eigenschaft kaum noch vom „Screen“ wieder zu verschwinden.

Sie bleiben eine brisante, schlummernde Datenmischung, die jederzeit neue Eigenschaften annehmen kann. Ändert sich eine Regierung oder Regierungsform, oder diese Daten geraten in die Hände von skrupellosen Cyberkriminellen, dann begreifen wir sofort, welche Sprengkraft sie besitzen.

Wir befinden uns an einem kritischen Punkt. Nicht dass nach Edward Snowden sich etwas sofort ändern würde, aber es gibt im Bewusstsein Vieler eine Zeit vor, – wie eine Zeit danach. Also einer Zeit der Digitalisierung von Unmengen von persönlichen Daten. Vielleicht eine Zäsur ähnlich „Nine Eleven“.

Wir spüren, dass etwas aus dem Ruder läuft und dieses nicht nur im politischen Raum. Auch wir selbst sind zum Informationssammler geworden. Wir benutzen dafür die entsprechenden Werkzeuge. Unser Outlook ist mit Daten gepiekt. Wir vernetzten, verwenden wie selbstverständlich alle möglichen Suchmaschinen und bedienen uns aller auf dem Markt frei zugänglicher Datenbanken und Auskunfteien. Wir laufen der permanenten Sammlung dieser Daten hinterher. Die Dimension des Datenwachstums besitzt astronomische Ausmaße. Das Vervielfältigen Dieser erfolgt in immer kürzeren Zeitabschnitten.

Es gibt „Daten-Sammler“ ohne Verstand und Sinn, jene aus Leidenschaft, andere aus Angst etwas zu übersehen. Allen ist gemein, Sie sammeln um ihre Position zu behaupten, sich nicht angreifbar zu machen, um gewappnet zu sein, das eigene Handeln zu rechtfertigen und anderen den Spiegel vorzuhalten. Es dient dazu, seine Verantwortung im Geschäftsleben zu dokumentieren, carbon copies, ccsind im Konzern beliebt, letztlich um den Beweis jederzeit auf den Tisch legen zu können.

In der Tat wer wollte daran vorbeisehen, mehr Wissen bedeutet in einer Informationsgesellschaft, wie nie zuvor, mehr Macht.

Doch ist Wissen, erlangt auf Basis einer Datensammlung, kein reales Wissen? Es muss zwischen einer sogenannten Merk- und Wirk-Welt unterschieden werden. Nur real Erfahrenes hält einer Wirklichkeit stand.

Zumindest in der Normalität. Elektronische Wissensübermittlung baut darauf auf, dass das Übermittelte auch tatsächlich stattfand, und wir daher der Quelle Vertrauen schenken können. Diesen Umstand machen sich alle, die in dieser Branche professionell tätig sind zu eigen. Sei es in der Werbung oder in der Politik. Eine real um uns existierende „Wirkwelt“ nehmen wir dagegen mit allen uns zur Verfügung stehenden Sinnen wahr.

Eine „Merkwelt“ wiederum entspringt der Datenwelt, ohne Zwischentöne, sie ist stumpf.

Heute wollen wir über große Distanzen exakt Situationen an anderen Orten beurteilen. Wir wollen durch ein umfassendes Datencontrolling in die Lage versetzt werden, zeitnah über große Distanzen entscheiden zu können. Wir verlassen uns auf unsere Daten. Wir haben dabei übersehen, dass wir dadurch vieles an zivilisatorisch Errungenem verlernen.

Einige werden es noch kennen. Etwas was man als hanseatisches Geschäftsgebaren bezeichnet. Der Verlass auf eine Zusage. – Wenn ein Reeder seinem Kapitän den Dreimaster, gefüllt mit feinen Seidenballen aus Leipzig und andere wertvolle Waren überlässt und auf Reise schickte, musste er darauf vertrauen, den Kapitän nach einem Jahr wieder Elbaufwärts einlaufen zu sehn. Der Kapitän hatte dann die teuren Ballen und die wertvollen Waren gegen Gewürze und andere benötigte Rohstoffe vor der Küste Ost-Afrikas eingetauscht. Und wie war es bevor wir E-Mails, Telefax oder Telex kannten? Der Importeur musste sich auf die Zusage seines Agenten in Rio de Janeiro verlassen und umgekehrt genauso. Da galt absolutes Vertrauen, um das Geschäft anständig abzuwickeln.

Haben wir Daten gegen Vertrauen getauscht?

Scheinbar müssen und sollen alle informiert sein. Wir sichern uns ständig ab. Ein Termin zur Verabredung ist kein endgültiger Termin. Wir kennen diese Situation vom Nachbarn am Cafétisch nebenan oder aus der U-Bahn: Komme gleich… bin gerade noch 2 Minuten entfernt…, fahre gleich los. Wir müssen uns ständig versichern, ob das Zugesagte noch gilt. Hinzukommt damit eine unnötige Datenverschmutzung über Handys ohne gleichen.

Aber viel Schlimmer ist der damit einhergehende Verhaltenswandel. Verlässlichkeit bekommt eine neue Bedeutung. Kontrolle ebenso. Über Smartphone sind Ort und Zeit bestimmbar, vorausgesetzt man ist über „Partner-Connect“ verbunden, für bestimmte Organisationen natürlich auch ohne.

Es gäbe viele weitere Beispiele zu nennen. Die Form digitaler Kommunikation ist eine andere Dimension geworden und kann leider nicht mehr hinreichend mit unseren normalen Parametern vergangener Evolutionsentwicklungen beschrieben werden. Die Entwicklung ging zu rasend und hat sich in weniger als einer Dekade vollzogen.

So schnell wie diese Entwicklung vorangeschritten ist, hat sich dadurch auch unser Verhalten grundlegend, zeitgleich ändern müssen, ob wir dem Zustimmen oder nicht spielt dabei kaum eine Rolle.