Bürgerproteste versus Parlamentarier

Unsere parlamentarische #Demokratie ist gereift als repräsentative Regierungsform nach den bitteren Erfahrungen der Weimarer Republik. Fast nach 70 Jahre geübter Demokratie bekommt sie Risse. Bürger beginnen sich zu „empören“.

Einst verborgenes Herrschaftswissen wurde durch die neuen Informationstechnologien aufgebrochen. Kriminelle Energien, Machenschaften, Korruption auf allen Ebenen bleiben nicht mehr in dem Maße verborgen wie zuvor. In Politik, Wirtschaft und internationaler Finanzwelt haben die Enthüllungen bis zu einem unerträglichen Maß zu Skandalen geführt, die von vielen Bürgern nicht mehr kommentarlos ertragen werden können.

Der bisher uns überwölbende moralische Verhaltenskodex beginnt auseinanderzubrechen. Bürger vielerorts spüren dies.

Die Bürger sind heute, mit Hilfe der „Social Media Instrumente“ sehr schnell, kostengünstig und effizient zu mobilisieren. Welche Sprengkraft Sie besitzen, haben wir im Nahen Osten vor Augen geführt bekommen. Vertreter der parlamentarischen Demokratie haben dies erkannt und geben aus Angst Stück für Stück Hoheitsrechte ab, indem zu bestimmten Themen Volksentscheide von Bürgerinitiativen erzwungen oder rechtzeitig von den Regierungen eingeführt werden.

Der Politik fällt es immer schwerer, sich mit Mut klar zu positionieren und zu Ihrer Haltung und Einstellung zu stehen. Einstehen für etwas ist zur Zeit nicht „in“. Keiner kann es ertragen, nicht mehrheitsfähig zu sein – er ist dann nicht cool oder wählfähig.

Neu zeigen sich diese Verhaltensmuster als Schwäche mit Resignation und Rückzug. Ein Widerstand gegen diese Empörung ist nicht zu sehen. Beide Seiten, der empörte Bürger und der gewählte Parlamentarier einschließlich der Rechtsorgane, verlassen ihre ursprüngliche „Rolle“. Politiker und staatliche Organe beginnen sich unmerklich zurückzuziehen.

Es findet ein ungeregelter Transformationsprozess statt. Dem engagierten empörten Bürger fehlt es an Legitimation. Dem Parlamentarier wird immer weniger Glaubwürdigkeit attestiert.

Die Folge ist ein Mangel an Leidenschaft, an persönlichem Einsatz für die Gemeinschaft.  Herausragende Persönlichkeiten in der Politik werden rar. Bürger die sich einbringen, zeichnen sich durch hohes, teilweise überzogenes Selbstbewusstsein, große Redegewandtheit aus und neigen aus der Position der Defensive eher dazu zu überzeichnen, Negativszenarien zu überhöhen, niemand jedoch wendet Energie auf, um realistische Lösungen zu suchen. Beide Seiten erkennen diesen Prozess, können aber die Tragweite damit einhergehender Fehlentwicklung nicht abschätzen.

Obwohl dank neuer Informationstechnologien in nie geahnter Form eine große Zahl von engagierten Bürgern kurzfristig mobilisiert werden kann, ist es immer nur eine verschwindend geringe Zahl von Ihnen, die diesen Prozess anstoßen.

Viele Bürger erteilen dagegen abstrusen Konzepten ihre Legitimation. Splitterparteien ohne Ziel und Konzept, Spaßgaukler und dergleichen mehr erzielen traumhafte Quoten der Zustimmung. Demgegenüber nimmt die Teilnahme an Wahlen rasant ab. Eine unglaubliche Apathie macht sich breit. 

Ebenso erschreckend ist eine fast ins Uferlose gefallene Allgemeinbildung, gepaart mit mangelhaftem historischem Wissen. Wäre es nicht ein notwendiges Fundament, um Verantwortung zu übernehmen? Die Verantwortung für das Gemeinwohl beginnt zu schwinden. Kurzfristiges Denken und Handeln bestimmen die Geschehnisse. Der demokratische Grundsatz, dem Allgemeinwohl zu dienen, kann nur verwirklicht werden, wenn das sich ausgleichende Kräfteverhältnis aller Beteiligten erhalten bleibt.

Der Konsens darüber, was wir als Gemeinwohl verstehen, ist nicht mehr greifbar. Sowohl der engagierte Bürger als auch der Parlamentarier haben jeweils aus Ihrem Blickwinkel getrübte Präferenzen. Sie sind Gefangener Ihrer persönlichen Interessen in einer sehr egoistisch, auf höchste Effizienz ausgelegten Zeit. Sicher bleibt, dass im Kräftefeld dieser vielen Akteure der empörte Bürger heute seine Muskeln viel effektiver spielen lässt.

Der Schlüssel zur Veränderung
Bei herausragenden Projekten kommt es zu Konflikten. Die beiden Antagonisten attestieren sich jeweils das Recht auf Ihrer Seite zu wissen. Insbesondere Projekte, bei denen eine große soziale und wirtschaftliche Spanne an Ungleichheit spürbar ist, stehen im Fokus. Je größer die Divergenzen, desto schneller und heftiger sind die Auseinandersetzungen. Dort wo Ungleichheit sichtbar ist, dort wo menschliche Einzelschicksale auftreten, dort entzündet sich die Empörung, der Widerstand am stärksten.

Es wird im Namen für das Gute, das zu Bewahrende, das Nachhaltige, das Richtige, das Sozialgerechte, das die Allgemeinheit hinter sich vereint Wissende, argumentiert. Obwohl es Unzählige nicht so prominente „Baustellen“ gebe und alle bearbeitet werden müssten, beschränkt es sich ausschließlich auf diese spektakulären Projekte.

These: Ohne diesen Widerstand gibt es aber keinen Paradigmenwechsel, er ist Salz der Gesellschaft, – es ist ihre Zukunft. Gewaltlosigkeit bleibt dabei die Hoffnung der Zukunft. Es trägt dazu bei, Hoffnung zu hegen und stolz auf das Veränderte sein zu können, insbesondere wenn bei diesen Projekten fast immer unterschiedliche Kulturen und Religionen aufeinandertreffen. Bleibt die Gewaltlosigkeit erhalten, ist es ein wundervoller Motor zur Veränderung.

These:Es ist dieser schmale Grat zwischen friedlichen empörten Widerstand und dem Abgleiten in Fantastereien. Nur wenn beide Seiten sich zu den überwölbenden moralischen Werten bekennen, sich als untrennbare Gemeinschaft begreifen, findet dieser friedfertige Widerstand seine Fruchtbarkeit und schafft „Neues“.

Ein Methodischer Rahmen
Dieses vorweggeschickt, fehlt es vor diesem Hintergrund an einer verbindenden, moderierenden und anerkannten neuen Methodik, berechtigtes Bürgerverlangen aufzugreifen und in verantwortlichen Bahnen einer Lösung zuzuführen.

Megaprojekte, städtebauliche Entwicklungsquartiere, stadtwirtschaftliche Entscheidungen mit Tragweite, lassen sich mit herkömmlichen Abläufen und tradierten Entscheidungsschemata nicht mehr erfolgreich umsetzen. Dies haben Alle verstanden.

Eine gleiche Augenhöhe zwischen den gewählten Vertretern und Experten auf der einen Seite und auf der Anderen, dem engagierten Bürger, ist nur scheinbar vorhanden.

Beiden fehlt es an Verantwortung, an Nachhaltigkeit, an der Bereitschaft für Ihre Fehlentscheidungen einzustehen, gar daraus zu lernen, Korrekturen einzuleiten und um eine Verbesserung zu ringen. Hinzukommt die ungemein gewachsene Komplexität, die auch bei bestem Zugriff auf sämtliche Informationen für Alle nicht immer ohne fundierte Kenntnisse zu begreifen ist, um ausgleichende zukunftssichere Entscheidungen zu treffen.

These: Daher braucht dieser Transformationsprozess, dieser sich abzeichnende Paradigmenwechsel, einen methodischen Rahmen, ein überwölbendes Grundgerüst das von Allen akzeptiert wird. Hierzu ist Offenheit, Unvoreingenommenheit und Lernbereitschaft eine notwendige Voraussetzung.

Auf der Basis einer geeigneten „Plattform“ kann ein methodisches Verfahren auf kommunaler und Länderebene eingeübt werden. Um Mitverantwortung zu tragen, braucht es den verantwortungsbereiten Bürger, weniger den Kommunikator. Letztlich bietet es allen die Chance der Zeitersparnis. Projekte können schneller, kosteneffizienter und nachhaltiger realisiert werden. Durch die Mitwirkung des engagierten, verantwortlichen Bürgers können Konflikte entschärft werden. Es hilft, die Durchsetzbarkeit zu erhöhen, und letztlich qualifiziert es das Zusammenwirken zwischen Bürger und seinem Parlament im besten Sinne.

Plebiszite helfen, akzeptierte Lösungen für komplizierte Entscheidungsprozesse zu finden. Es gibt heute für öffentlich relevante Bauprojekten eingeübte Verfahren der „Bürgerbeteiligung“. Vieles hat sich verbessert.

Doch reicht es nicht aus? Und nicht jedes Verfahren kann wie in der Schweiz mit einem Volksentscheid enden. Die Spielregeln für eine Mediation müssen vorweg geklärt sein. Alle Teilnehmer müssen sie akzeptieren. Diskussion, um der Diskussion willen, bedeutet den Misserfolg als beste Lösung zu akzeptieren.

Beispiele in der Hauptstadt Berlin lassen sich ohne Schwierigkeit viele finden. Sie reichen von einer herausragenden Einzelimmobilie bis hin zur Erschließung ganzer Quartiere. Aber müssen es immer nur die spektakulären Vorhaben sein?

Hier steigen Presse und öffentliche Aufmerksamkeit sofort ein. Aber wie viele kleine Projekte im näheren Umfeld sind es ebenso Wert, Veränderungen auch im Kleinen eine Chance zur Verbesserung zu geben. Gerade diese Projekte sind es, die ein methodisches Gerüst brauchen.